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Arzt im Interview: Grenzen der Medizin

Dr. med. Bernhard Kiesenhofer
Allgemeinmediziner & Homöopath

Zunächst möchte ich eine Definition geben was Medizin eigentlich ist. Es handelt sich hier um die Wissenschaft vom kranken und gesunden Organismus, wobei unter Gesundheit ein vitales Gleichgewicht zu verstehen ist und unter Krankheit die Störung desselben.

Nun zu den Grenzen der Medizin. Was kann Medizin und was kann sie nicht?

Als ich noch ein junger Arzt im Krankenhausbetrieb war, existierte noch ein ganz anderes ärztliches Selbstverständnis. Man sprach von den „Göttern in weiß“, Herrscher über Krankheit und Gesundheit. Wenn Ärzte nicht wussten, was ein Patient hatte und wir ihn nicht erfolgreich behandeln konnten, dann war es ein geflügeltes Wort: „Sie haben nichts, gehen sie nach Hause“.

Unsere Grenzen wurden verleugnet. Das ist der ärztliche Narzissmus und die Grenze für den Patienten war, dass er uninformiert blieb.
Nun hat die Medizin dramatische Veränderungen druchlaufen, es gab Studien um Studien, um Studien, die immer wieder Neues zum Vorschein brachten, und alte Erkenntnisse wurden wieder und wieder als überholt erkannt. So lernten wir Ärzte im zunehmenden Maß, mit Unsicherheit über die tatsächlichen Kenntnisse und ihren Wahrheitsgehalt zu leben. Es erfolgte eine Relativierung der Wahrheit und das natürlich auch den ärztlichen Narzissmus relativiert.
Für den Patienten brachte das Internet eine Grenzüberschreitung und gleichermaßen eine neue Grenzerfahrung. Eine Grenzüberschreitung insofern, als der Patient eine Fülle von Informationen zugängliche gemacht bekam. Eine neue Grenzerfahrung macht der Patient dadurch, dass er mit der Fülle an Informationen hoffnungslos überfordert ist.
Nun zur naturwissenschaftlichen Methodik der Medizin. Die moderne Medizin hat durch die naturwissenschaftliche Methode unzähle Fortschritte machen können in Diagnostik und Therapie, hat aber auch eine Einengung erfahren, weil zunhemend außer Acht gelassen wurde, dass es sich hier um eine Humanwissenschaft mit einem bei weitem größeren Horizont handelt als für die Naturwissenschaft überhaupt fassbar ist.  
Die Methode ist Experiment und Wiederholung. Wenn sich ein Experiment beliebig oft an möglichst vielen Individuen mit dem selben Ergebnis wiederholen lässt, gilt das Resultat als belegt und erwiesen. Hier spreche ich vom Instumentarismus als Mittel zur Wahrheitsfindung im naturwissenschaftlichen Sinne aber nicht alle Menschen reagieren unter denselben Bedingungen gleich.
Studienergebnisse werden immer nur der Mehrzahl von Probanden gerecht, eine mehr oder weniger kleine Minderheit reagiert anders. Hier geht es um die Individualität des Menschen, der eben nur in Teilbereichen ein Kollektivwesen ist und insofern kann eine rein naturwissenschaftliche Medizin dem Menschen nur beschränkt gerecht werden.
Jedes Individuum hat eine andere Sprache, eine andere Stimme (obwohl es denselben Kehlkopf hat), einen anderen Gang, eine andere Mimik, einen anderen Ausdruck. All dies bringt einen jeweils fundamental anderen Charakter zum Ausdruck, was die Naturwissenschaft nur mehr sehr bruchstückhaft erfassen kann.
Der Mensch ist ein Geistwesen der auch einer Entwicklung unterliegt, eine genuine Einmaligkeit hat, der man nur im Individualkontakt nahekommen kann. Hier kommen wir zur nächsten Grenze des Mediziners. Wie weit lässt sich der Arzt auf den Patienten individuell ein, wie weit ist er empathiefähig? Dafür wird er heute leider nicht ausgebildet.
Die Ausbildung erfolgt schwerpunktmäßig mit naturwissenschaftlicher Theorie, nach Lehrbuch, zunehmend über Computertechnologie und der praktische Teil der Ausbildung erfolgt an der Leiche in der Prosektur.

Eine weitere Grenze der Medizin ist die Zusammenarbeit mit anderen Heilungsberufen. So sind zum Beispiel Depressionen Krankheiten mit einem absolut grenzüberschreitendem Charakter. Diese Krankheit ist mit naturwissenschaftlicher Psychopharmakologie allein nicht beizukommen. Hier braucht es die intensive Zusammenarbeit mit Psychotherapeuten, um den tiefer liegenden Ursachen auf die Schlicke zu kommen. Hier ist das Hindernis des öferen der Narzismuss der Arztes, der sich nur schwer eingestehen kann, dass unsere Methoden hier an Grenzen stoßen. In der Zusammenarbeit ist natürlich auch im selben Maße auf den Narzissmus der Psychotherapeuten hinzuweisen, sowie auf den Narzissmus der Energetiker mit ihren Schwierigkeiten auch ihre Grenzen anzuerkennen.

Eine weitere Grenze in der Medizin ist die Grenze die uns der Patient auferlegt. Hier stellt sich die Frage, wie weit öffnet sich der Patient und auf welche Prozesse ist er bereit sich einzulassen. Zum Beispiel der Patient benötigt ein Medikament dringend, will aber kein „Gift“ zu sich nehmen, oder hat den Beipackzettel gelesen und versucht eine potentielle Lungenentzündung mit Heiltees zu behandeln oder ein Raucher raucht 60 Zigaretten am Tag und denkt nicht daran mit dem Rauchen aufzuhören, denn er geht ohnehin jährlich zum Lungenfacharzt.
Eine Grenze die wir Ärzte unbedingt überschreiten müssen ist die Erweiterung unseres mittlerweile leider aufs naturwissenschaftliche beschränkten Horizonts. Wir müssen wieder begreifen lernen, dass die Beschränkung auf das rein Naturwissenschaftliche Ärzte und Patienten auf Vorgänge der Reparatur beschränkt. Heilung ist mehr. Heilung erfolgt durch Begegnung und Beziehung und die muss den ganzen Menschen erfassen. Der Mensch ist nun einmal eine Einheit aus Körper, Seele und Geist.
Eine weitere Grenze der Medizin sind ethische Gesichtspunkte. Die Medizin kann sehr viel aber darf sie auch alles was sie kann?
Hier geht es um gängige Verdrehungen von Werten fundamentaler Menschlichkeit wenn zB Schwangerschaftsabbruch mittlerweile als ein Menschenrecht auf Reproduktionskontrolle definiert wird. Pränataldiagnostik – und damit verbunden die Gefahr der Anmaßung zu beurteilen was lebenswertes Leben ist. Hier sind wir wie auch auf dem Gebiet der Genmanipulation, ohne es wahr haben zu wollen, auf den Spuren der menschenverachtenden Ideologie des dritten Reiches unterwegs.
Eine weitere Grenze der Medizin ist natürlich die Grenze, die uns der Zeitgeist unserer Gesellschaft auferlegt wie gerade eben angeführt die Verdrehung und Pervertierung von Werten (Menschenrechten), Konsumismus, galoppierende Zunahme von Süchten, krankmachender Wettbewerb, Dauerstress, Narzissmus als Vorbild. Narzisstische Idole mit der Verabsolutierung von Ichdurchsetzung und Egoerfolg. Handy und Smartphone, Bewegungsmangel mit Folgekrankheiten.

Zusammenfassend möchte ich darauf hinweisen, dass meiner Meinung nach der größte Heiler und Arzt Jesus Christus war, er heilte durch Beziehung und Empathie, durch Berührung und Begegnung, in einem Ausmaß, das vor und nach ihm niemand bewerkstelligen konnte.
Die Heilung des Menschen kann letztlich nur in einer Egoüberschreitung mit Blick auf die Transzendenz erfolgen.